Ich bin seit wenigen Tagen ein nicht ganz so stolzer Besitzer eines Fire TVs, 2. Generation. Man sagt auch: Generation 2015.
Viele Quellen sagen, dass es eine der besten Streamingboxen schlechthin sei. Meine Meinung: Naja, das gilt es noch zu beweisen.
Amazon Fire TV – das Produkt im luftleeren Raum
Sowohl das Fire TV als auch der abgespeckte Fire TV-Stick sind grundsätzlich dafür da, auf das Streaming Universum rund um Film und Musik zuzugreifen. Natürlich ganz präsent die Amazon Services wie Prime Video, Prime Music oder Fotos. Die Nachinstallation von fremden Services wie Netflix, Spotify und Ähnliches funktionieren per Fernbedienungsklick und sind intuitiv zu bedienen. Hier hat Amazon gute Arbeit geleistet.
Doch all diese Funktionen bringt schon der Fire TV-Stick mit sich, der mit 40 EUR Anschaffungskosten eine der besten technischen Investitionen der letzten Zeit war: Eine kleine Fernbedienung, unkomplizierte Inbetriebnahme, eine umfassende Streaming-App-Welt, die keine Wünsche übrig lässt. Direkt an den AV-Reciever angeschlossen fällt sogar Dolby Digital in HD-Bildqualität heraus – kein Grund zum Meckern.
Und was macht der große Bruder, das Fire TV als eigene Box, nun anders?
Tja, das frage ich mich auch. Natürlich ist die Standalone-Box deutlich kräftiger, was die Hardware betrifft: Das Menü geht noch flüssiger, die Apps laden noch schneller. Aber der Fire TV-Stick ist hier auch definitiv nicht zu verachten. Zudem stellt sich die Frage, wozu ich die extrafette Performance brauche, wenn doch schon der Stick HD-Video und guten Sound liefert.
Dann wäre da ja noch die Fernbedienung. Etwas größer, liegt besser in der Hand. Man kann nun streiten, ob man wirklich Gummiknöpfe hätte nehmen müssen, die sich im Gegensatz den den glänzenden Plastikknöpfen der Fernbedienung des Sticks sicherlich schneller abnutzen und Dreck anziehen werden. Das Killerfeature ist aber die Spracheingabe. Funktioniert auch super, wirklich. Aber der Einsatzbereich ist marginal klein: Zwar kann man damit auch Apps suchen, aber nicht in Apps. Die Suche nach Filmen in beispielsweise der Netflix-App muss dennoch müßig über die Bildschirmtastatur stattfinden. Und machen wir uns nichts vor: Der Film-Katalog von Amazon ist nun zwar umfangreich, aber auch wirklich nicht allumfassend. Viel zu häufig gibt es diesen einen expliziten Film nicht im Katalog. Also fülle ich meine Amazon-Filmliste doch durch Empfehlungen. Die wiederum durch Stöbern und nicht durch explizite Spracheingabe wächst.
„Ja, aber mit dem Fire TV kannst du gute Spiele spielen!“
Ach, hör doch auf. Wo denn?! Diese lächerliche Spieleauswahl aus dem Amazon-Appstore, die über Casual Games nicht bemerkenswert hinauskommt? Natürlich gibt es auch Spiele, die etwas mehr mitbringen: Asphalt 8: Airborne und die Final Fantasy-Reihe sind hier positive Beispiele. Gerade „Asphalt 8“ hat eine hervorragende Grafik und rockt richtig! Dann hört es aber auch auf mit wirklich guten Spielen. Schaut man sich die „Bestseller“ der Apps im Amazon Store an, so fühlt man sich grafisch und vom Spielprinzip in die frühen 2000er zurückversetzt: Aktuell belegt das klassische Moorhuhn Platz 3 im Ranking. Das Spiel kam 1999 heraus, kostenlos!
Weitere „Bestseller“: Plants vs. Zombies, das als Casual Game auf dem Smartphone gut funktioniert, aber die Anschaffung/Nutzung eines Fire TVs nicht rechtfertigt. „Monopoly“, „Wer wird Millionär“, „Carcassonne“ und „Catan“ sind auch in den Charts, liefern aber Grafiken ab, die der Game Cube 2001 hätte darstellen können.
Der Fairness halber muss ich sagen, dass auf Platz 1 Minecraft ist, dessen Reiz sich mir nie erschlossen hat – vielleicht ist das ja wirklich ein Kracher auf dem Fire TV, kann ich leider nicht bewerten.
Das Streaming-Dilemma
Game Streaming ist der neuste heisse Scheiss: Zahle eine Nutzungspauschale und greife auf Spiele zu. Ähnlich wie Netflix. Der große Vorteil: Die Ausführung der Spiele findet auf potenten Rechnern beim Anbieter statt, man selbst bekommt nur die HD-Grafik ausgeliefert. Funktioniert hervorragend und überraschend latenzfrei, wie NVidia mit GeForce Live und der Streamingbox NVidia Shield beweist. Amazon zog Mitte 2015 nach und holte Gamefly an Bord. Endlich auch Streaming von Games auf das Fire TV. In den USA. Europa-Release unbekannt.
Niete.
Aber man kann ja noch vom eigenen Rechner streamen! Nö, nicht ohne externen Zugriff und Gefrickel. Kommen wir gleich zu.
Das Controller-Dilemma
Amazon hat einen eigenen Controller für das Fire TV rausgebracht. Eine Hässlichkeit in Reinform. Meine Meinung.
Aber man kann ja auch fremde Controller anbringen, allen voran ist der XBOX 360-Controller zu nennen. Hat sich schon fast zum Quasistandard entwickelt. Die Wireless Controller erlauben dann mit entsprechendem Empfänger somit eine perfekte Alternative. Funktionierte mit dem Fire TV Gen1 auch sehr gut. Mit Gen2 auf einmal nicht mehr. Man darf nicht das LAN-Kabel und den Empfänger zugleich eingesteckt haben. Ist das LAN-Kabel zuerst angeschlossen und dann der Empfänger, reagiert der Empfänger nicht. Steckt man zuerst den Empfänger, danach das LAN-Kabel, funktioniert zuerst alles, bis nach wenigen Minuten das FireTV einfriert. What the fuck…?!
Da hat man LAN-Kabel quer durch die Wohnung gelegt, damit die Netzwerkgeschwindigkeit gegeben ist und dann wird man auf WLAN gezwungen? Amazon sagte, dass dieser Bug behoben würde – doch das „Wann“ bleibt ungeklärt. Ebenso ungeklärt ist es, warum eine in der Breite eingesetzte, stabile Funktion auf einmal bei einem Hardware-Upgrade (und mehr ist die Gen2 auch nicht) nicht mehr funktioniert.
„Du kannst alles nachinstallieren, was auf Android läuft!“
Dem FireOS von Amazon liegt ein Android zugrunde und man kann tatsächlich Android Apps nachinstallieren. Aber auf welche fricklige Methode denn bitte?
Sideload nennt sich die Kunst, eine Applikation auf einem anderen Gerät zu installieren, um von da irgendwo vorher heruntergeladene APK-Installationsdateien dem FireTV unterzuschieben. Diese Dateien lassen sich dann über knapp 10 Klicks in den Optinen des FireTV dann auch starten. Es sei denn, man installiert über den selben Weg einen separaten Launcher (eine Art alternative grafische Oberfläche), der alle Apps anzeigt, aber mit der Schwuppdizität und Fancy Optik des Amazon Launchers recht wenig gemein hat. Um Dateien zu laden, klickt man sich durch Linux-Ordnerpfade und sucht seine Dateien auf der SD-Karte unter /mnt/sdcard2. Auf einmal ist gar nichts mehr aus einem Guss, sondern erscheint eher nach Frickelware.
Oben sprach ich davon, dass man auch Spiele streamen kann. Das geht – ebenfalls über Sideload. Mit einem Rechner mit einer GeForce-Grafikkarte und einer per Sideload untergeschobenen App kann man die eigenen Spiele vom lokalen Rechner auf das Fire TV streamen. Schöner wäre eine native App, vielleicht sogar das Lösen von Grafikkarten. Steam In Home Streaming wäre hier eine gute Alternative.
Fazit: Der Fire TV Stick tut’s auch. Noch(?)
Will man die Fire TV-Welt als solches nutzen, wofür sie da sind (Streaming), dann reicht der Stick absolut aus. Der Mehrinvest von knapp 60 EUR Straßenpreis in das volle Fire TV bringt hier zu wenig direkte Vorteile mit sich. Das volle Fire TV hat logischerweise eine stärkere Hardware dabei, die aber bei dem offiziellen App-Angebot überhaupt nicht gefordert wird – erneut ein Punkt für den Fire TV-Stick: Das, was da zum Spielen ist, geht auch zum großen Teil mit dem Stick.
Will man das Fire TV ausreizen, muss man sich auf das Sideloaden von Apps zurückziehen. Das geht zwar vom Ablauf einfach, aber ein zweites Gerät als Huckepack, um die eigentliche Wohnzimmerzentrale mit vorher heruntergeladenen Dateien zu betanken, das ist auch nicht das, was man als guten WAF bezeichnen würde.
Und so bleibt die dumpfe Hoffnung, dass kommende Firmware-Updates die existenten Probleme lösen, der Appstore gehörig aufgebohrt wird und irgendwann auch mal Gamestreaming durch offizielle Apps möglich wird.
So lange spiele ich Crossy Road – das Spielprinzip stammt ja nur aus dem Jahr 1981…