Vor wenigen Wochen fragte ich einen Blinden, wie er Kino und Fernsehen schaut - dieses Mal fragte ich eine Gehörlose, wie sie einen Kinofilm empfindet. Warum Musik ein wichtiges Element für Taube ist und welchen Herausforderungen Hörgeschädigte sich in den Medien und im Alltag konfrontiert sehen Musik: http://www.bensound.com
Vor wenigen Wochen fragte ich einen Blinden, wie er Kino und Fernsehen schaut – dieses Mal fragte ich eine Gehörlose, wie sie einen Kinofilm empfindet. Warum Musik ein wichtiges Element für Taube ist und welchen Herausforderungen Hörgeschädigte sich in den Medien und im Alltag konfrontiert sehen.
Musik: www.bensound.com
Das gesamte Chatlog im Original:
Phil: Okay, legen wir einfach los:…
Stell dich doch noch einmal kurz vor: Wer bist du, was machst du so jeden Tag und in welchen Vereinen bist du besonders aktiv?
Ludmila: ich muss dir wahrscheinlich etwas sagen… ich bin nicht nur „gehörlos“, ich bin eine CI Trägerin und dazu noch Ausländerin
Ludmila: Sorry
Phil: CI ist Chochlea Implantat, korrekt?
Ludmila: Ich bin Ludmila Schmidt und bin ein Brückenmensch. Ich pendle zwischen zwei Welten – zwischen hörender und gehörloser Welt.
Phil: Ein „Brückenmensch“? Was meinst du denn damit genauer?
Ludmila: In hörender Welt bin ich Bibliothekarin und habe Kontakt nur zu den hörenden Menschen und in gehörloser Welt bin ich 2. Vorsitzende des Gehörlosenverbandes Niedersachsen, Lehr- und Bildungsbeauftragte des Gehörlosensportverbandes Niedersachsen und Referentin für Breitensport & Sportentwicklung beim Deutschen Gehörlosen Sportverband
Ludmila: CI ist Coclea Implantat – korrekt
Ludmila: Brückenmensch … ich sehe das als Möglichkeit in mehreren Welten zu Hause zu sein…
Ludmila: Es sind nicht nur diese Welten – hörende und gehörlose Welt…
Ludmila: Es sind auch russische und deutsche Welten… Da bin ich auch in zwei Welten zu Hause
Phil: Also wirklich ganz breit aufgestellt 🙂 Ich gehe mal davon aus, dass dein Engagement gerade in den Gehörlosen-Verbänden daher kommt, weil du selbst gehörlos bist. Stimmt das so?
Und bist du schon dein Leben lang gehörlos oder gab es da einen Vorfall?
Ludmila: Ich bin durch ein Antibiotikum mit 1,5 Jahern hochgradig schwerhörig geworden und irgendwann mal gehrörlos… Ich bin seit 1996 Mitglid im Gehörlosensportverein Hildesheim und irgendwann wurde ich eingeladen auch für Verband Niedersachsen zu arbeiten…
Ludmila: Mitglied
Ludmila: Eingeladen bzw. gewählt
Phil: Und ganz augenscheinlich machst du das ja auch ganz gern – wie lange bist du denn im Verband aktiv?
Ludmila: Während meines Studiums musste ich Praktikum machen und so habe ich mich im Gehörlosensportverband Niedersachsen und Gehörlosenverband Niedersachsen beworben. Bestimmt seit 2001-2002 bin ich dabei…
Phil: Das ist schon ein respektabler Zeitraum… Spricht für dich.
Du hast gerade unterschieden zwischen „hochgradig schwerhörig“ und „gehörlos“ – gibt es da auch auf medizinischer oder gar rechtlicher Ebene einen Unterschied? Ich habe bei einem Interview mit einem Blinden gelernt, dass man nur unter ganz bestimmten Umständen als „blind“ gilt – gibt es da im Bereich der Höreinschränkung auch Abstufungen?
Ludmila: Ja.
Ludmila: Oberbegriff wäre – Hörgeschädigt.. Gehörlos oder wie man heute immer öfters sagt – „taub“, spätertaubt, schwerhörig – gehört alles zu diesem Oberbegriff.
Ludmila: Dazu gibt es veschiedene grade der Schwerhörigkeit: leicht schwerhörig, mittel schwerhörig, stark und hochgradig / an der Taubheit grenzend
Ludmila: Bei Gehörlosen muss man auch unterscheiden: von Geburt an taub, Prälingual ertaubte – also vor dem Spracherwerb; postlingual und spätertaubte..
Ludmila: Was Gehörlosigkeit oder Taubheit betrifft: was ich soeben gesagt habe, ist medizinischer Aspekt… Gehörlose /Taube Menschen fühlen sich nicht krank (im medizinischen Sinne). Gehörlosigkeit ist eine Identität und Taube Menschen fühlen sich als Minderheit, als Teil einer Gehörlosen Welt,
Phil: Das verstehe ich nicht – was unterscheidet denn Taube von Gehörlosen? So wie ich es verstanden habe, doch eigentlich nur der Begriff?
Phil: …und vielleicht der Umgang in der Gesellschaft mit diesem Begriff – „taub“ ist meines Wissens nicht nur unter Betroffenen ein böses Wort, während „gehörlos“ eine neutrale Note hat.
Ludmila: die Tendenz in der Gehörlosenwelt: man nennt sich nicht gehörlos. Man nennt sich taub… Man sagt nciht „augenlos“ – man sagt „blind“… Viele bezeichnen sich als „taub“
Ludmila: Sonst ist im Sinne der Deutschen Sprache – Taub und Gehörlos sind Synonyme
Ludmila: Und nicht „taub“ ist ein böses Wort, sondern „taubstumm“ – das ist No-Go
Phil: Ah, okay. Verstehe, das klingt schlüssig. Dann habe ich mir das falsch gemerkt. Also sollte ich im Folgenden eher von „Tauben“ statt von „Gehörlosen“ sprechen, ja?
Ludmila: Ja bitte!
Phil: Gern – war nicht böse gemeint 🙂
Ludmila: kein Problem!
Phil: Schauen Taube Kinofilme – und wenn ja, wie machen sie das? Sie verstehen doch gar nicht die Dialoge…
Ludmila: Man kann bestimmt von Lippen ablesen, aber maximal 30% und man muss immer die Lippen sehen und am besten, die Person,die gerade spricht, soll sich nciht bewegen. Unrealistisch also… H
Phil: Gerade bei englischen Filmen, kann ich mir vorstellen
Ludmila: Bei allen Filmen! Ein Film ist eine Geschichte und eine Geschichte ist Bewegung! Heute gibt es natürlich fantastische Möglichkeiten im Vergleich zu den früheren Jahren – heute kann man Filme mit Untertitel (UT) sehen! Ob die Qualitität der UT stimmt – ist eine andere Frage
Ludmila: Übrigens – früher könnte man ausländische Filme mit UT sehen! Sogar im Kino! Aber im Fernseher war das damals nur bei ARTE der Fall und auch gaaanz selten
Phil: Das finde ich spannend: Du sagst, eine Geschichte sei Bewegung. Da stimme ich dir als Filmfan absolut zu – ein Film ist mehr als ein Zusammenspiel von Bild und Ton. Aber ein Film ist eben auch Ton. Dialog.
Was macht denn für dich einen Kinofilm bzw. dessen Geschichte … naja, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll… „beweglicher“ als andere Filme? Was macht für dich einen guten Film aus, wenn nicht der Dialog?
Phil: genauer: „Wenn es der Dialog nicht sein kann“
Ludmila: Körpersprache
Ludmila: Schauspieler, die mit Gesicht ohne zu sagen Geschichten erzählen können
Phil: …hm, stimmt, darüber sprechen wir bei Filmbesprechungen auch immer, wie faszinierend es ist, wenn Szenen ohne Dialoge funktionieren… Klingt schlüssig.
Welcher Film funktioniert da denn für dich besonders gut? Hast du da ein Beispiel?
Ludmila: weißt Du, es ist so auf Anhieb schwer zu sagen.. Ich sage mal aus dem Bauch heraus… Ich nenne einen Film, den ich nie vergessen habe – und den ich ohne UT gesehen habe… Wahrscheinlich weil die Geschichte gestimmt hat… Weil die Schauspieler toll waren… mit ihrer Körpesprache? Einer flog über das Kuckucknest – mit Jack Nicholson
Phil: Den kennen sicherlich viele – vielleicht schaut man nun mal den Film mit einem anderen Blickwinkel, vielleicht auch mal ganz bewusst mit ausgeschaltetem Ton, um ein annäherndes Gefühl zu bekommen, wie der Film dann wirkt. Ich würde mich mal auf das Experiment einlassen 🙂
Phil: Aber machen wir uns nichts vor: Der neuste Star Wars oder eine Komödie werden wohl weniger durch ihre Körpersprache überzeugen 😀 – die großen Unterhaltungsfilme werden bestimmt auch gern mit Untertitel gesehen.
Ist es eigentlich schwer, Vorstellungen mit Untertiteln zu finden?
Ludmila: Musste nach noch einem Film suchen – das Meer in mir mit Javier Bardem….
Ludmila: Aber es ist meine persönliche Empfindung. Die Geschichte stimmte auch! Und war sehr bewegend!
Phil: Zugegeben kenne ich den gar nicht (worry)
Ludmila: Vorstellungen mit Untertiteln… hm… wann war das letztes Mal…. VHS Hildesheim hat mal Filme mit UT gezeigt – im Kino! Das war TOLL! Das war bestimmt vor 2003-2004…
Ludmila: Und ein mal habe ich einen Film im Kino gesehen – in Clausthal-zellerfeld – war ausnahmsweise auch mit UT – 2005? Seitdem war ich nicht mehr im Kino
Phil: Liegt das daran, dass du nicht so filmaffin bist oder dass das Angebot einfach wirklich schlecht ist?
Ludmila: Weil ich ohne UT mir nichts anschauen kann
Phil: Also liegt es daran, dass viel zu wenig Kinos Filme mit Untertiteln zeigen, ja?
Ludmila: definitiv
Ludmila: Es liegt nur daran!
Ludmila: Wir sind auf Fernseher und moderne Möglichkeiten angewiesen – Internet, Netflix und Co
Ludmila: allerdings sind wir nicht auf dem aktuellsten Stand – wir müssen immer warten, bis wir die Filme mit UT sehen können…. ob beim Netflix oder ob wir eine DVD mit UT kaufen
Phil: klar, wie soll es anders gehen? Geht ja nicht. Wo kein Untertitel, da kein Untertitel.
Phil: Gibt es eigentlich Filmgenres, die auch ohne Untertitel gut funktionieren? Beispielsweise, weil diese Genres immer mit viel Körpersprache arbeiten?
Ludmila: Balett?
Ludmila: 😀
Phil: 😀 Sehr gut 😀
Ludmila: Kann mir vorstellen – Komödien (schwer aber) oder Jacky Chan Filme – oder Terminator – da sieht man sofort, wer Gute ist und wer Böse
Ludmila: Sylvester Stallone spricht auch nciht viel… Allerdings hat er auch nciht die ganze Pallette der Gesichtsmimik
Phil: 😀 DAs hast du diplomatisch ausgedrückt 😉
Ludmila: Da wo sehr viel Körpereinsatz gefodert wird:) denk dir aus, was ich damit meine….
Ludmila: Ja, ich bin ziemlich diplomatisch…
Phil: Wenn das Kino schon nicht so viel mit Untertiteln aufwarten kann – wie sieht es denn dann im Fernsehen aus? RTL, Sat1, ARD und Kika – sieht es da besser aus mit Untertiteln?
Ludmila: ARD und grundsätzlich Öffentlich-Rechtliche Sender stehen besser da..
Ludmila: so z.B. ARD und Sender,d ie zu ARD gehören untetiteln zu 90- 95% ihre Sendungen
Ludmila: Auch die Landesrundfuknanstalten bemühen sich
Ludmila: RTL dagegen bietet zu wenig barrierefreie Angebote… SAT 1 Angebot ist auch verbesserungswürdig
Ludmila: Pro 7 auch
Ludmila: Leider sind Untertitel nicht die Lösung aller Probleme. Wir brauchen auch Gebärdensprachdolmetscher im Fernseher und da kommen wir nicht unbedingt voran bzw. dauert es noch
Phil: Das deckt sich auch mit einem Artikel, den ich vor wenigen Wochen auf dwdl.de gefunden habe: Es gäbe seit 2015 eine Mindestanforderung, die die Untertitlung eines Primetime-Titels pro Tag vorschreibt. RTL hält sich seit Mai 2015 dran, die Sender aus der ProSiebenSat1-Gruppe schon seit 2013…
Aber eben meist auch nur ein Titel pro Abend – somit also Mindestanforderung.
Phil: https://www.dwdl.de/nachrichten/60710/untertitel_prosiebensat1_weiter_deutlich_vor_rtl/
Ludmila: Wenn man erkältet ist und zu hause auf dem Sofa liegt und Fernseher schaut – da schauen wir garantiert am Tag kein RTL und ProsiebenSat1-Gruppe
Phil: gute Antwort 😀
Phil: Mir fällt gerade so ein: Ich habe taube Tante und Onkel, du bist taub. Wir reden hier wie selbstverständlich über Untertitel im Fernsehen, aber sicherlich wissen viele gar nicht, wie das mit Untertiteln im Fernsehen läuft. Kann man sich das einfach so auf den eigenen Fernseher holen oder braucht man dafür bestimmte Geräte?
Ludmila: Man braucht nur einen Fernseher, der Videotext hat. Und das haben heutzutage alle! Und man muss wissen, wie man UT einblenden kann. Es gibt Fernseher, wo du das so einstellen kannst, dass er automatisch UT zeigt, wenn sie vorhanden sind. Oder man muss sie über Videotext einblenden lassen.
Ludmila: ARD z.B. 150 und ZDF z.B. 777. Sat 1 und Pro 7 149
Phil: Das ist wirklich einfach zu aktivieren – kann ich nur empfehlen… Bevor wir zu den Gebärden kommen (ein wirklich interessantes Thema), noch eine abschließende Frage zu Untertiteln: Du hast ja schon vorhin gesagt, dass ich gesprochenes Wort und Untertitel manchmal ziemlich unterscheiden. Das ist auch wirklich so – wer mal Untertitel anmacht, und sei es auf einer DVD/BluRay, der wird das bestätigen können.
Kannst du dir erklären, warum die Dialoge nicht 1:1 untertitelt werden?
Ludmila: Meine Antwort ist nur eine Vermutung… Und diese Frage sollte man wahrscheinlich eher den Verantwortlichen stellen… Aus Spargründen? Oder weil man denkt, wichtig ist, Inhalt wiederzugeben? Egal wie? Und sei es abgekürzt… Was soll ich sagen… Wenn BBC 1 zu 1 übersetzen kann und wenn Niederlande und Österriche uns deutlich voraus sind, da kann es hier in Deutschland nicht an Technik….
Ludmila: Korrektur: Wenn BBC 1 zu 1 untertiteln kann und wenn Niederlande und Österreich uns deutlich voraus sind, kann es hier in Deutschland definitiv nicht an Technik liegen
Phil: Ach verdammt, nun muss ich noch eine ergänzende Frage stellen 😉
Denn ich habe bei den Recherchen herausgefunden, dass uns andere Länder tatsächlich voraus sind: In den USA müssen alle seit 1998 produzierten Sendungen und Filme mit englischem und spanischen Kommentar produziert werden, in der Schweiz gibt es die Pflicht, alle Sendungen zwischen 19:00 und 22:00 zu untertiteln…
Warum schafft es Deutschland nicht? Schlechte Gesetze? Oder gibt es Gesetze, aber die Sanktionen sind nicht schmerzhaft genug? Oder gibt es einen anderen Grund – was meinst du?
Ludmila: Nun ja… wie gesagt, Öffentlich-Rechtliche Sender stehen momentan nicht schlecht da…. Man kan auch oft in Mediathek Sendungen mit UT und/oder mit Gebärdendolmetscher sehen…. Woran es bei anderen Sendungen happert, weiß ich nicht…es komme auf auf die Software an: Software für Spracherkennung? Geld? Technologie? Kein Bock auf Investition? Warten auf bessere Möglichkeiten? ich denke nicht, dass ich eine vernünftige Antwort geben kann… Aber das ist jetzt nur eine Antwort zum Thema UT. Was Qualität der Untertitel betrifft, da bin ich sprachlos. Wieso ist es möglich im Ausland 1:1 zu untertiteln und in Deutschland NICHT!? Das ist mir schleierhaft!
Phil: Das kann ich dir auch nicht beantworten – aber vielleicht kriege ich das noch raus 😉
Ludmila: Erzähle mir dann, was Du rausgefunden hast
Phil: Gern 🙂
Phil: Aber nun zu Gebärdendolmetschern: Du sagtest, dass diese viel mehr im TV sein sollten. Sind Gebärdendolmetscher also besser als Untertitel? Wenn ja, was unterscheidet denn Untertitel von Dolmetscher, wenn man eine Sendung schaut?
Ludmila: Für viele von Geburt an tauben Menschen ist die Gebärdensprache die Muttersprache (mit eigener Grammatik) und die Lautsprache (mit anderer Grammatik) ist die Fremdsprache! Deswegen ist es wichtig, dass sie an die Informationen in ihrer Muttersprache ran kommen und nicht in einer „Fremdsprache“ – als Untertitel… Die Untertitel sind aber genauso wichtig – für die schriftkompetenten Hörgeschädigte bzw für die Hörgeschädigte, dessen Muttersprache Lautsprache ist.
Phil: Das ist wichtig, hervorzuheben: Die DGS, Deutsche Gebärdensprache, ist so anders von dem klassischen gesprochenen Deutsch, dass sie von Linguisten tatsächlich als eigene, autonome Sprache durchgeht.
Ich weiß nicht, wie einfach oder schwer das nun zu erläutern ist, wenn man nur liest oder im Podcast zuhören kann, aber nichts sieht – ich will die Frage aber nicht unversucht lassen:
Was sind denn zentrale Unterscheide zwischen der Gebärdensprache und der Lautsprache? Außer, dass die eine mit Gebärden funktioniert und die andere mit Stimme?
Ludmila: Gesichtsmimik ist ein Teil der Grammatik in Deutscher Gebärdensprache. Wenn du eine Frage mit Stimme stellen kannst – man hört eine Frage in Stimme, so zeigt das Gesicht, dass man gefragt wird…. Augenbrauen heben oder zusammenziehen – das ist schon ein Zeichen, dass eine Frage gestellt wird.
Ludmila: Ausserdem wird der Satz in DGS anders aufgebaut. Wenn in Deutscher Lautsprache SVO – Subjekt-Verb-Objekt -Regel verwendet wird, so gilt in der DGS SOV-Regel – Subjekt-Objekt-Regel… Z.B. Deutsch: Ein Buch steht im Regal. DGS: Regal-Buch-stehen… oder Deutsch: Ich bekomme einen Brief. DGS: Ich-Brief-bekommen…
Ludmila: Es gibt so vieles, was anders ist!
Ludmila: Es ist unmöglich alle grammatische Unterschiede hier aufzulisten.
Ludmila: Korrektur: SOV – Subjekt-Objekt-Verb-Regel
Phil: Ich als Hörender kann das wenig bewerten und zudem verstehe ich quasi nichts, aber bei Phoenix(?) ist die Tagesschau jeden Tag mit einem Gebärdendolmetscher. Ist das ein guter Anlaufpunkt, um sich davon einen Eindruck zu machen?
Phil: …Phoenix
Ludmila: Es ist eine Möglichkeit die Deutsche Gebärdensprache „live“ zu erleben!
Phil: Wer definiert eigentlich neue Gebärden? Ich habe mitbekommen, dass „Trump“ nun durch die gespreizte Hand von hinten nach vorn über den Kopf gebärdet wird – und damit seine Schmalzlocken abbilden.
Phil: Und wie werden diese Gebärden dann verbreitet, damit man sie später bei Phoenix auch versteht?
Ludmila: wer definiert neue Wörter? Wie werden diese Wörter verbreitet? Durch Kommunikation, durch Austausch mit anderen:)
Phil: Das heisst, es kam mal wer auf die Idee, „Trump“ genau so zu gebärden, hat das anderen Leuten gezeigt, die haben das übernommen und so hat sich das wie ein Lauffeuer verbreitet?
Ludmila: Die Welt von Tauben Menschen ist klein – viele Informationen verbreiten sich sehr schnell. Und heutzutage dank Internet, Skype und allen möglichen anderen Programmen verbreiten sich Informationen wie ein lauffeuer – genau wie Du es soeben gesagt hast… Viele Gebärden sind ikonisch, visuell – man kann sie gut nachvollziehen. In diesem Fall hat man einfach einen Merkmal mit Gebärde beschrieben und so ein Gebärde können dann die meisten verstehen!
Phil: Aber es kann doch dann sein, dass sich zwei Leute den selben Begriff ausdenken und gebärden, beispielsweise in Kiel und in München – und in ihren Kreisen verbreitet sich das und dann trifft der Münchener Dialekt auf den Kieler Dialekt…
Ist das tatsächlich so? Gibt es … Dialekte?
Ludmila: Ja, es ist genauso wie in der Deutscher Sprache. Es gibt sächsisch, schwäbisch, ostfriesisch, hochdeutsch… Auch Deutsche Gebärdensprache hat Dialekte. Aber man versteht sich trotzdem und ich denke, solche Gebärden, die bestimmte Personen darstellen, sind ohne „Wörte“ zu verstehen!
Ludmila: 🙂
Phil: Lass uns noch einmal zurückkommen zu den Gebärdendolmetschern – also Hörenden, die das Gehörte in Gebärden übersetzen…
Angenommen, du könntest dir die Medienwelt hinsichtlich Offenheit für Taube so stricken, wie du wolltest – wie sähe die Medienwelt aus?
Ludmila: Ein Wunschdenken?! WOW – ALLE Sendungen werden gedolmetscht und untertitelt! Das wäre ja ein Paradies!
Phil: Aber mal ganz praktisch – wie soll das aussehen? Du kannst ja nicht jede Sendung im Splitscreen anzeigen, wo in der einen Hälfte ein Dolmetscher ist. Dann wäre ja die Hälfte des Bildes für viele Menschen quasi nutzlos, wenn nicht gar ablenkend
Ludmila: Die Umsetzung wäre gaaanz einfach – das Gewünschte soll eingeblendet werden. Wer braucht UT, soll UT einblenden, wer braucht DOlmetscher – Dolmetscher einblenden. Oder ausblenden – je nach Wünsch und Hörmöglichkeiten. Das wäre barrierefrei und Inklusion pur!
Phil: Das könnte mit den modernen TVs, die auch im Hintergrund eine Internetverbindung aufbauen und so vielleicht ein Video im oder über dem TV-Bild anzeigen könnten. Das sollte die Technik heutzutage tatsächlich hergeben….
Ludmila: Die Hoffnung stirbt zuletzt!
Phil: Wie war das eigentlich früher? Vor der Zeit von Videotext auf allen Fernsehern, vor der Zeit von Behindertengleichstellungsgesetzen, die ab 2002 verpflichteten, dass Taube inkludiert werden müssen?
Wie haben Taube früher Fernsehen geschaut?
Ludmila: Damals konnte man, wenn man Glück hatte, ausländische Filme mit UT sehen – war der Fall bei ARTE. Wobei ich erinnere mich, diese Filme kamen nach 23 Uhr…. Sonst gab es extra Geräte für UT…Und noch früher … da haben wir unsere Eltern und Geschwister (vorausgesetzt sie waren hörend und wir, Kinder, oral erzogen) genervt, bis sie uns kurze Version geben konnten…
Ludmila: Damals war es sehr schwer an die Informationen ranzukommen… Deswegen waren die Gehörlosenvereine oder Gehörlosensportvereine sehr wichtig – sie waren die Möglichkeit Infos auszutauschen bzw. neues erfahren… Aus heutiger Sicht unvorstellbar – wie wenig man wusste und konnte, wenn man taub war…
Phil: Du hast die Zeit ja auch aktiv miterlebt – was war denn ein ganz großes Manko der früheren Zeit? Welche Informationen waren früher quasi gar nicht im Zugriff?
Ludmila: Man war auf Zeitungen angewiesen… Auf Erfahrungen von anderen tauben Menschen… Wir waren abgeschnitten.. Wenn ein Hörender im vorbeigehen quasi alles mitbekommt. Radio, Fernseher, so hatten hörgeschädigte Menschen kein Zugriff zu den Informationen. Man war auf schriftliches angewiesen und Kontakt zu den anderen Hörgeschädigten und deren Erfahrungen und Wissen war enorm wichtig
Ludmila: Moment, bin gleich da
Phil: Jetzt gibt es ja seit 2002 das Behindertengleichstellungsgesetz, was die Integration von Behinderten per Gesetz fordert. Abgesehen davon, dass es meiner Meinung nach viel zu spät kommt: Was hat sich denn in den letzten 10-20 Jahren verändert – ist da etwas spürbar, dass etwas Besser geworden ist?
Phil: Und bevor wir zum Internet kommen, lass uns nur mal über Medien und Gesellschaft sprechen…
Ludmila: Seit 2002 haben hörgeschädigte Menschen Anspruch auf Dolmetscher und jede andere Kommunikationsform… Man kann in jedem Amt nach einen Dolmetscher verlangen. Beim Arzt, im Krankenhaus. Auch auf dem Arbeitsplatz, beim Studium, in der Schule! Es hat sich schon einiges verändert!
Phil: Funktioniert das reibungslos?
Ludmila: Nein. Man hat immer zu kämpfen… Aber das ist ja für uns, Hörgeschädigte nichts neues
Phil: Damit kommen wir auch zum vorletzten Themenkomplex…
Wo haben Hörgeschädigte und Taube denn besonders zu kämpfen?
Ludmila: Gute Schulausbildung… wenn man eine hörende Schule besuchen möchte, braucht man jahrelang Unterstützun von Dolmetscher. Man muss richtig dafür kämpfen. In den Schulen für Hörgeschädigte brauchen wir mehr Lehrer mit DGS-Kompetenz. Es kann doch nciht sein, dass Lehrer NUR oral unterrichten. Wie soll man den Stoff bitte verstehen! Beim Studium sind wir auch auf Dolmetscher angewiesen. Bei Fortbildungen. Am Arbeitsplatz (kommt natürlich drauf an). Bei Besprechungen. Oder im Alltag: VHS-Kurse sind nach wie vor unmöglich ohne Dolmetscher. Wenn man ADAC braucht, soll jemand anrufen. Beim Notruf, Polizei holen, Krankenwagen rufen oder ganz simpel – warum fährt der Zug nicht weiter, warum steht der Zug irgedwo in Pampa… es gibt noch so viele Situationen… Und ins Kino können wir auch nicht gehen…
Phil: Ja, stimmt. So habe ich gar nicht gedacht – für Hörende ist das alles selbstverständlich. Und den Frust, den kann ich auch verstehen.
Nun kannst du ja nicht immer einen Dolmetscher neben dir herlaufen lassen. Und es wäre ja auch hoffnungsloses Wunschdenken, dass alle nun die Gebärdensprache lernen – zumal dir das Telefonproblem immer noch nicht löst.
Hast du eine Idee, wie man so etwas ganz praktisch lösen kann? Was kann die hörende Welt jeden Tag machen, um Hörbehinderte mehr zu integrieren?
Ludmila: Mitdenken, mitmachen – Gebärdensprache lernen – das erleichtert sehr viel!
Ludmila: Wir haben heutzutage so großartige technische Möglichkeiten. Visuelle Gestaltung ist bestimmt in vielen Bereichen möglich…
Phil: Ich habe auch einen Gehörlosenkurs bei der VHS belegt, um mit meinem Onkel und meiner Tante kommunizieren zu können. Aber das wird auch nicht jeder ohne Anlass durchführen.
Hast du einen Überblick, wie viel Taube Lippen lesen können? Ich glaube, wenn man weiß, dass viele Taube Lippen lesen können und vielleicht sogar in Lautsprache antworten können, wenn sie… „müssen“, würde sicherlich viele Hürden abbauen
Ludmila: Nun ja.. die DGS Kurse in den VHS sind momentan sehr beliebt und oft ausgebucht. Interesse, Arbeit, Fortbildung, private Gründe, Wunsch eine Gebärdensprache zu lernen, Inklusionsbedingt – DGS-Kurse boomen zur Zeit!
Phil: Ach, das wusste ich gar nicht. Interessant.
Ludmila: Lippenlesen… Ich denke mal, von Geburt an taube Menschen können viel besser lippenlesen als spätertaubte. Nicht alle können in Lautpsrache antworten oder wollen… Denn wir sprechen anders. Wir hören uns ja nicht. Wir können unsere Aussprache nicht kontrollieren, nicht korrigieren. Und viele Hörende schauen manchmal entsetzt oder drehen sich um um zu schauen, wer spricht so komisch…Es gibt welche, die drehen sich um und gehen…
Phil: Das kann ich mir vorstellen. Mein Onkel und meine Tante sind beide zwar von Geburt an taub, haben aber nie die Lautsprache gelernt. Sie waren in ihrer Jugend viel in Internaten und somit isoliert von der hörenden Welt. Meine Tante verstehe ich mit ganz viel Mühe, aber meistens kommen bei ihr die, wie ich finde, recht gut erkennbaren Gehörlosen-Laute raus. Meinen Onkel verstehe ich gar nicht – ich wüsste nicht, wann ich mich mal mit ihm abseits von Stift und Papier mit ihm ausgetauscht hätte.
Ludmila: dann kannst du es auch nachvollziehen
Phil: auf jeden Fall!
Phil: Kann man also zusammenfassen, dass in einer gewissen globalen Sicht mehr Toleranz und Mut zum „Ansprechen“ hilfreich ist, aber man auch nur schwer darum kommt, sich grundsätzlich auch in der Gebärdensprache auszukennen?
Ludmila: Heutzutage dank modernen Technologien ist alles möglich… Nein, Sprechen lernen vielleicht nicht immer möglich aber sich informieren, im Internet, youtube, in verschiedenen Foren… Man kann die Gebärdensprache auch lernen – VHS, Internet…. es gibt auch App…
Ludmila: Aber Inklusion ist möglich – man muss nur wollen…
Phil: Schönes Statement.
Phil: Damit haben wir den Übergang, bevor wir zum letzten Themenblock kommen: Du sprichst ständig von den modernen Technologien, die das Leben vereinfachen. Ich habe verstanden, dass mit Netflix und Co nun ein Zugriff auf mehr Filme und sicherlich auch auf mehr Informationen möglich ist.
Wo haben denn Smartphones und Internet wirklich etwas zum Positiven verändert?
Ludmila: danke
Ludmila: für hörgeschäadigte Menschen hat sich die Welt aufgetan, wo sie sich barrierfrei bewegen können…. Wenn wir von Kommunikation untereinander reden, so benutzt man unglaublich gerne apps, mit denen man Videonachrichten schicken kann oder sich „live“ über Video unterhalten kann. Ich nenne lieber hier keine Apps, denn das wäre dann eine Schleichwerbung:)
Phil: Ach, frei heraus – wir sind nicht abhängig von sonstwas
Phil: Ich vermute, du meinst WhatsApp und Skype und Ähnliches.
Ludmila: Nicht nur! es gibt z.B. auch Glide (perfekt für Videochat und Videonachrichten) Im Internet ist es erfreurlich zu sehen, dass viele Ämter ihre Informationen in Gebärdensprache anbieten. Einige Seiten auch in leichter Sprache… Auch in Mediatheken kann man vieles mit Gebärdensprachdolmetscher anschauen, bei youtube kann man sehr vieles sehen…
Phil: Stimmt, die „Leichte Sprache“ kann auch gut sein für Menschen, für die die Lautsprache eine Fremdsprache ist. Ich habe die „Leichte Sprache“ eher in die Kategorie Flüchtlinge und Ausländer getan – aber du hast Recht, so etwas kann auch wirklich für Hörbehinderte hilfreich sein. So habe ich noch gar nicht gedacht
Ludmila: geistig behinderte auch!
Phil: Hast Recht! Auch nicht bedacht!
Phil: Kommen wir mal zum gemeinsamen Austausch, der direkten Kommunikation zurück: Auch da stellt sich ja die Frage nach dem „Früher“: Wie war das denn da? Wie hat der taube Freund aus Kiel mit dem tauben Freund aus München kommuniziert, wenn nicht über Internet-Chat?
Ludmila: In der Reihenfolge der Evolution: Brief-Schreibtelefon-Bildtelefon-Fax-SMS
Ludmila: und wenn mit einem von diesem Kommunikationmittel ein Treff vereinbart wurde, dann war es Open End..
Phil: 😀
Phil: Erläutere doch noch einmal das Prinzip „Schreibtelefon“ – ich glaube, ich kenne das Prinzip aus der Verwandschaft, aber besser ist es, wenn du es noch einmal aus eigener Erfahrung beschreibst.
Ludmila: Kurzversion: es hat eine Ähnlichkeit mit Schreibmaschine. Nur dass es noch einen Hörer dazu gab und man brauchte keine Papier.
Ludmila: Es ist ein Gerät, das anstelle von Sprechlauten nur Schriftzeichen bzw. Text übermittelt und empfängt
Phil: ich kenne das von meiner Tante so, dass sie den Hörer abnahm, ihn auf eine Art Schreibmaschine gelegt hat und dann hat sie auf einer vollständigen Tastatur getippt. Und ich vermute, dann wurde nach dem Absenden der Text in Signale umgesetzt, die über die Telefonleitung gingen und auf der anderen Seite wieder in Text umgesetzt wurden…
Ludmila: und man ruft an, wie am telefon und legt aber den Telefonhörer in die dafür speziell vorgesehene Stelle im Schreibtelefon… Dann wird auf die antwort gewartet… also Vorreiter der sms….
Ludmila: da warst du schneller
Phil: Es gab ja auch eine Zeit ohne Festnetz-Flats – war das nicht extrem teuer? 😀
Ludmila: Gute Frage..
Phil: Gute Frage, weil gute Frage? Oder Gute Frage, weil du so spontan keine Antwort weißt?
Ludmila: ich weiss es nicht mehr. Aber vermutlich wie bei normalen Telefongespräch damals – Ortgespräch, Ferngespräch… Mensch, das kommt mir ja jetzt wie in Steinzeit vor!!!
Phil: Oh Gott, es tut mir Leid 😀
Phil: Schnell zu einem anderen Thema… Musik!
Phil: Eine Journalistin aus der Schweiz, Karin Schmidt, hat die Aussage getätigt, „Gehörlose haben kein Bedürfnis nach Musik“ – wie stehst du zu dieser Aussage`?
Ludmila: ich empfinde es, Entschuldigung, als Beleidigung
Phil: Es ist aus einer kleinen Reportage entstanden, wo darüber berichtet wurde, dass Opern durch Gebärdendolmetscher übersetzt wurden und auch mit entsprechenden Gebärden die musikalische Stimmung dargestellt wurde
Phil: Und diese Journalistin äußerte eben jenen Satz
Ludmila: ich kenne viele taube Menschen, die sehr gerne Musik im Auto hören -genau gesagt, SPÜREN – natürlich sie drehen die Musik megalaut auf und bestimmt gehen die Boxen dabei irgendwann kaputt. Natürlich hören /spüren sie dabei bestimmte Musik – die Bass hat
Ludmila: Hörgeschädigte Menschen hören Musik mit Haut, mit Körper und das ist möglich! Darf ich fragen, wie alt die Reportage ist?
Phil: Klar. Die Reportage ist von 2015, hier der Link: https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/mit-vollem-koerpereinsatz-wie-gehoerlose-musik-erleben-koennen
Ludmila: http://www.ndr.de/kultur/musik/Hoeren-per-Sound-Shirt-Klassik-fuer-Gehoerlose,soundshirt104.html
Ludmila: hier ist was neueres
Phil: Diese Reportage habe ich auch gesehen, das ist die Reportage, wo es ein Shirt gibt, das auch an Armen und auf der Brust je nach Instrument und Vehemenz des Instruments vibriert, korrekt?
Ludmila: ja es gab auch beim „Sehen statt Hören“ eine Reportage, glaube ich…
Ludmila: da war eine richtige Jacke
Phil: Und die Kandidatin, die ebenfalls taub war, war am Ende des Klassikkonzerts richtig physisch erschöpft, weil es eine ganz neue und vor allen erlebnisreiche Erfahrung für sie war
Ludmila: Es war für sie eine neue Welt!
Phil: Kann ich mir vorstellen – jedes Instrument hatte sein eignes Areal und so vibriert es an ganz verschiedenen Stellen, teilweise gleichzeitig und teilweise in verschiedenen Intensitäten.
Phil: Ich entnehme aber deiner Entrüstung der Journalistin gegenüber, dass Musik durchaus für viele Taube einen Teil des Alltags darstellt. Welche Musikrichtungen funktionieren denn besonders gut?
Ludmila: Wo BASS ist
Phil: Also fettester Techno ist quasi das Beste für euch?
Ludmila: Ja
Ludmila: übrigens, es ist ein Projekt in der Arbeit- ein Verein Aus der Stille in den Klang“ möchte ein Musikprojekt ins Leben rufen, wo taube Menschen, Hörgeschädigte oder Coclea Implantat Träger Geige lernen
Phil: Wie soll das dann funktionieren?
Ludmila: Man kann die Geige durch Holz und Kiefer spüren
Phil: Ich muss nun unweigerlich grinsen, denn es klingt so naheliegend. Aber über sowas macht man sich so wenig Gedanken
Ludmila: tja. man macht sich eben keine Gedanken über etwas, was selbstverständlich vorkommt
Phil: Umso wichtiger, dass wir miteinander reden 🙂
Ludmila: 🙂
Phil: Coclea Implantat-Träger erkennt man ja aktuell recht gut daran, dass sie ein ziemlich klobiges Hörgerät tragen, das mit einer runden Platte am Schädel verbunden ist. Meines Wissens gibt es im Schädel dann ein Gegenstück, das die elektrischen Signale des Hirns an die Außenplatte sendet, sodass diese dann zum Hörgerät geleitet und dann verstärkt weiter geleitet werden.
Aber ich merke gerade die Unlogik in der Sache: Wenn das Ohr nicht gut hört, kommt auch im Gehirn nichts an, was verstärkt werden könnte und erneut ins Ohr geleitet werden kann… Klär mich mal auf: Wie funktioniert das Coclea-Implantat im Groben tatsächlich und welche Vorteile bringt es den Höreingeschränkten?
Ludmila: ein ziemlich klobiges Hörgerät ist ein Soundprozessor, der erfasst Audiosignale und wandelt sie in digitalen Code um. Der Soundprozessor überträgt die digital codierten Signale durch die seitlich am Kopf befindliche Sendespule an das Implantat unter der Haut.
Das Implantat wandelt die digital codierten Audiosignale in elektrische Impulse um und leitet sie an den Elektrodenträger in der Cochlea (die Teil des Innenohres ist) weiter.
Die Implantatelektroden stimulieren den Hörnerven in der Cochlea, von wo aus die Signalimpulse an das Gehirn weitergeleitet werden. Dort entsteht dann eine Hörwahrnehmung.
Ludmila: Nochmal
Ludmila: falsch
Ludmila: ein ziemlich klobiges Hörgerät ist ein Soundprozessor, der erfasst Audiosignale und wandelt sie in digitalen Code um. die runde Platte am Schädel – ist Sendespule. Der Soundprozessor übertragt die Signale durch diese Sendespüle an das Implantat unter der Haut – was du als Gegenstück genannt hast… Das Implantat leitet Signale weiter an Elektrodenträger, der durch Schnecke verläuft. Und diese Elektroden in der Schnecke stimulieren die Hörnerven, und von dort werden Impulse /Signale weiter an das Gehirn weitergeleitet und die Information wird verarbeitet
Ludmila: Vorteile… In jeder Sache gibt es Vor und Nachteile… Coclear Implantat kann ein Segen und ein Fluch sein… Wenn ein kleines Baby mit CI versorgt wird, hat es die Möglichkeit Lautsprache zu erlenern, was sehr wichtig für hörende Welt ist… Auch kann ich mir vorstellen, dass ein Spätertaubte glücklich wird wieder hören zu lernen…
Ludmila: ich habe mich nach 41 Jahre Gehörlosigkeit mich implantieren lassen – ich musste beim 0 anfangen. Mein Gehirn war wie eine komplett leere Festplatte, wo nichts drauf stand…
Phil: Ein ziemlich plastisches Bild, glaube ich
Ludmila: Ein Gehörloser, der nie gehört hat und plötzlich sich dafür entscheidet, zu hören – es muss seine Entscheidung sein und es ist ein sehr langer und steiniger Weg.
Phil: Ist das dann anstrengend, vielleicht gar eine Reizüberflutung für jemanden, der noch nie bewusst gehört hat?
Ludmila: wenn man sich überlegt, dass alle 15-20 Jahre reinmplantiert werden muss – so oft will man doch ncih auf dem OP Tisch landen…
Phil: Ach, das muss auch reimplantiert werden? Ich dachte, das ist einmalig und fertig…
Ludmila: Reizüberflutung – Ja, für mich war es der Fall – ich war deswegen nach der OP und erster CI-Anpassung (CI-Anpassung ist wenn du nach der OP, nachdem Narbe sich verheilt, ein CI bekommst also Sendespüle und Soundprozessor) zwei mal im Krankenhaus
Ludmila: weil mein Hörnerv /Gehirn mit Hören nicht mehr klar kam – es war alles verdammt laut – Hyperakusis könnte man es nennen
Phil: Und dann wird man mit sanften und leisten Klängen an das Hören herangeführt und immer mehr gesteigert, ja?
Ludmila: ZUr Reimplantation – irgendwann ist Elektrode kaputt
Ludmila: ja, man muss ganz klein anfangen und ich wollte sofort hören – der Weg ist sehr lang…
Ludmila: Und übrigens – hören und verstehen sind zwei verschiedene Paar Stiefel… Hören kann man sehr viel aber Sprache verstehen ist was ganz anderes und das ist mein Problem. Sprache verstehen…
Phil: Das hängt vermutlich damit zusammen, dass du Jahrzehntelang die Gebärdensprache gelernt und genutzt hast und die Lautsprache nun eine Fremdsprache war, oder?
Ludmila: weil ich nichts gehört habe…
Ludmila: weil ich von Lippen abgelesen habe
Ludmila: benutzt habe ich immer beides – Lautsprache und Gebärdensprache.
Ludmila: meine Muttersprache ist Lautsprache – daher ist besser dieser Frage nicht nachzugehen
Phil: okay…
Phil: Wie lang ungefähr denn? Wann war die… ich nenne es mal Einführungstherapie bei dir abgeschlossen? Wie lange brauchtest du, bis alles in einem gewissen Normbereich war?
Ludmila: was ist ein Normbereich? ich bin auf dem Niveau eines Hörgerätenträgers – ich muss nach wie vor von Lippen ablesen und verstehe nicht, wenn etwas gesprochen wird und ich die Person nicht sehe… Dafür höre ich Uhr ticken, Kühlschrank brummen, Spülmaschine laufen, Wasserkocher kochen… Regenprasseln, WIndgeräusche – ich höre, was ich früher nie gehört habe. Aber ich verstehe die Sprache immer noch nicht
Ludmila: nicht erwartet?
Phil: Das ist für Hörende vermutlich ziemlich schwer nachvollziehbar… Es erscheint für mich nicht greifbar, dass man „hört“, aber die eigene Sprache nicht „versteht“. Also, ich kann mir das Dilemma vorstellen, ganz ernsthaft. Aber im Gegensatz zu manch anderen Impulsen aus unserem Austausch ist das Erlebnis „Ich höre die Laute, aber verstehe ihre Sprache nicht“ nicht wirklich nachzuvollziehen
Phil: Das meine ich auf einer ganz sachlichen Ebene… Weil „ich kann das nicht nachvollziehen“ häufig als Angriff gemeint ist, ist es mir wichtig, das noch einmal abzugrenzen: ich verstehe das wirklich – aber ich kann es mir einfach nicht vorstellen, weil ich von Klein auf mit Laut und Lautsprache aufgewachsen bin
Ludmila: wenn man altersbedingt schwerhörig wird und man auf Hörgerät angewiesen wird, kommt das Erkenntnis… Man hört alles lauter, aber die Sprache zu verstehen wird trotzdem nach wie vor anstrengend sein..
Ludmila: Du musst nur warten, bis Du älter wirst, dann wirst Du es vielleicht nachvollziehen können
Phil: Ich hoffe nicht… :/
Ludmila: Ich hoffe auch nicht, aber du kannst es bestimmt irgendwann mal mitbekommen
Ludmila: Junger mann, ich muss morgen arbeiten
Phil: ich habe nur noch eine Frage, ganz ernsthaft
Phil: Ohne Abwürgen: das ist meine letzte Frage 😀
Phil: Du hattest ganz zu Anfang gesagt, dass du ein Brückenmensch zwischen der Welt der Hörenden und der Gehörlosen seist. In welcher Welt fühlst du dich denn mehr zu Hause – und warum?
Phil: Ich leite morgen um 9 Uhr ein Bewerbungs-Vormittag. Ich muss auch dringend ins Bett 😉
Ludmila: lol
Ludmila: als Chef?
Phil: Check
Phil: Als derjenige, der die Leute eingestellt – aber um die letzte Frage kommst du nicht herum 😉
Ludmila: Wenn ich sage, dass ich ein Brückenmensch bin, dann stelle ich mir Brücken vor. Ich bin am ewigen Wandern udn Wandeln… Zwischen Welten… Zu Hause bin ich, wo ich willkommen bin, wo ich geliebt werde. Und das sind meine Familie und meine Freunde…
Phil: Ludmila, ich danke dir wirklich von Herzen für das Interview – ich hätte selbst nicht gedacht, dass wir vier Stunden miteinander schreiben würden. Aber ich empfand es wirklich als sehr sehr gut, du warst und bist eine ganz angenehme Asprechpartnerin 🙂
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