Serien-Kritik: „The Rain“

Kurz vor einer wichtigen Prüfung wird Simone (Alba August) von ihrem panischen Vater (Lars Simonsen) aus der Schule abgeholt. Gemeinsam mit dem Rest der Familie fliehen sie aus Kopenhagen vor einem Unheil bringenden Regen, dessen Gefahr nur Simones Vater richtig einschätzen kann. Er arbeitet in einem Gentechnik-Labor; bei einem Versuch ging anscheinend etwas ziemlich schief.

Alle Menschen, die von den Regentropfen getroffen werden oder mit dem Wasser der Pfützen in Berührung kommen, sterben einen schnellen, qualvollen Tod. Die Familie schafft es zwar in einen Bunker der Biotech-Firma, doch die Kinder werden von den Eltern allein gelassen. Fortan leben Simone und ihr zehnjähriger kleiner Bruder Rasmus sechs Jahre lang im Bunker, bevor sie sich wieder an die Oberfläche wagen und das Abenteuer erst so richtig beginnt.

Simone und ihr Trupp von Überlebenden

Die erste Netflix-Serie aus Dänemark wurde als ziemlicher Hit abgefeiert. Das Szenario klang für mich zudem sehr spannend, so dass ich eine gesundheitliche Auszeit genutzt habe, um die Serie an einem Tag wegzugucken. Bereut habe ich es grundsätzlich nicht.

Schon zu Beginn nimmt einen die Story voll in Beschlag. Gerade die ersten Szenen auf dem Weg zum Bunker sind toll umgesetzt, wobei ich das noch nicht mal nur an den okayen visuellen Effekten festmachen wollen würde. Bis die Kids tatsächlich allein im Bunker zurück bleiben, lässt einem die Serie keine Atempause. Im weiteren Verlauf erweist sich “The Rain” als eine etwas europäischere – und vor allem weit blutärmere – Version von “The Walking Dead”: Ein kleiner Trupp schlägt sich in der Wildnis durch und wird immer wieder mit unterschiedlichsten Hindernissen konfrontiert. Die einzelnen Episoden bieten neben einer durchgängigen Handlung auch immer ganz besondere, in sich abgeschlossene Handlungsstränge, die keine Langeweile aufkommen lassen. Alles in allem fühlte sich die Serie für mich wie ein extralanger Film an, der gut und gerne “am Stück” genossen werden kann.

Die Charaktere sind dabei alle sehr stimmig. Der Trupp, mit dem Simone und Rasmus das postapokalyptische Dänemark durchforsten, ist sehr heterogen. Vom selbstbewussten Ex-Soldaten über das streng katholisch erzogene Mauerblümchen, den introvertierten Intellektuellen und den verantwortungslosen Versager-Typen ist eine gute Bandbreite an Personen abgebildet, die in dieser Konstellation für eine gute Dynamik sorgen. Immer wieder bilden sich unterschiedlichste Allianzen. Ein Hauptaugenmerk liegt natürlich auf den beiden Protagonisten Simone und Rasmus, insbesondere der Emanzipation des kleinen Bruders gegenüber der großen Schwester. Aus dem 10jährigen ist in den Jahren im Bunker schließlich ein heftig pubertierender Teenager geworden.

Zu allen Charakteren werden in Flashbacks ab und an markante Ereignisse der Vergangenheit gezeigt, um das Profil noch mehr zu schärfen. Wo waren sie als der Regen begann? Allesamt Schlüsselmomente, die sehr sehenswert sind. Das alles geschieht wohldosiert und gut überschaubar, so dass keine Verwirrung aufkommt. Die aktuelle Handlung wird zu keiner Zeit aus den Augen verloren.

Wieder einmal bleibt die Frage: warum können die Dänen/Schweden/Briten sowas, aber warum trauen sich nicht auch mal deutsche Produzenten an so ein Thema ran? Wobei ich zugeben muss, dass ich die erste deutsche Netflix-Serie “Dark” noch nicht gesehen habe, die sich wohl ebenso vom deutschen Einheitsbrei abhebt. Anstatt auch mal auf das Horror/Fantasy-Genre zu setzen, gibt es immer wieder Historien-Dramen wie jüngst „Babylon Berlin“ (das sehr zu Recht in den Himmel gelobt wurde). 

Das postapokalyptische Kopenhagen ist leider zu selten so in Szene gesetzt

Auch wenn mich die Serie echt gut unterhalten hat, so dass ich sie letztlich an einem Tag verdrückt habe, gibt es doch auch etwas Schatten. Einige Dinge blieben für mich ungeklärt. Warum etwa spricht ein Sondereinsatzkommando, das nach der Katastrophe Überlebende einsammelt, nicht in der Landessprache? Diese Frage hat mich über einige Folgen hin beschäftigt und immer doch auch ein wenig raus gebracht. Unnötige Detailarbeit.

Vor allem aber hat mich in der vorletzten Folge ein riesiges Logik-Loch komplett herausgerissen, im Sinne von “Die können das doch so nicht inszenieren? Warum ist das jetzt so und nicht so wie sonst in der Serie? Warum erklären die das jetzt nicht wenigstens irgendwie?”. Ja, ich scharwenzel da ein wenig herum, weil ich nichts verraten will, aber sehrwohl zum Ausdruck bringen will, dass da eine gigantische handwerkliche/dramaturgische Lücke klafft.

Von da an hatte mich die Serie dann doch ein wenig verloren. Auch die finale Folge konnte mich dann nicht mehr vollkommen überzeugen, da sie leider sehr offen gestaltet wurde. Ich finde es schade wenn so eine runde Geschichte nicht zum Abschluss gebracht wird, sondern man sich immer noch eine große Hintertür für eine zweite Staffel offen halten will. Vor allem dann blöd, wenn das offene Ende nur “mehr vom gleichen” prophezeiht und da nicht noch ganz tolle Wendungen offenbar werden.

Tipp am Rande: wie man ein offenes Ende so gestalten kann, dass man auf die neuen sich ankündigenden Konstellationen schon so richtig Lust bekommt, kann man an der hervorragenden deutschen Serie „Bad Banks“ sehen, die es gerade auf Netflix zu sehen gibt.

Egal, ein Auge zu drücken und sich einfach darüber freuen, dass es andere europäische Länder gibt, die sehenswerte Serien mit solchen Szenarien hinbekommen. Und die darstellerische Leistung von Hauptdarstellerin Alba August kann sich – ebenso wie sie – echt sehen lassen. Nicht zu Unrecht hat sie auf der diesjährigen Berlinale den Preis “EFP Shooting Star” bekommen und ist gerade mit „Astrid“ in den deutschen Kinos zu sehen. Da wächst ein großes Talent heran.

Anbieter: Netflix

Wertung: 3,5/5

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