Drehbuch: Mark O'Rowe, Jonathan Trigell
Schauspieler*innen: Andrew Garfield, Katie Lyons, Peter Mullan, Shaun Evans
Kinostart D: (FSK 12)
Kinostart US: (FSK R)
Originaltitel: Boy A
Laufzeit: 1:41 Stunden
Filmkritik zu Boy A
Jack war im Gefängnis. Jack hieß auch nicht immer Jack. Doch Jack versucht sich nach der Haftentlassung unter neuem Namen eine neue Existenz aufzubauen. Schnell muss er erkennen, dass er vor seiner Vergangenheit nicht davonlaufen kann. Immer wieder holen ihn die Probleme aus früheren Zeiten ein und hindern ihn daran, ein rechtschaffener Bürger zu werden.
Normalerweise ist es für Zuschauer nicht gerade einfach, für Mörder Sympathien zu entwickeln. Doch Hauptdarsteller Andrew Garfield gelingt mit seiner hervorragenden Arbeit mit Leichtigkeit die Quadratur des Kreises. Meiner Meinung nach war seine Darstellung des Jack die bisher beste Schauspielleistung des laufenden Kinojahres. Und so fiel es nicht schwer mit ihm mitzuleiden und sogar Sympathien für ihn zu entwickeln. Garfield versteht es mit Bravour, mit kleinen Gesten und präziser Mimik das fragile Innenleben seiner Figur nach außen zu transportieren. Jack war nie ein kaltblütiger Killer. Er ist vielmehr sehr introvertiert, schüchtern und lässt jegliches Selbstbewusstsein vermissen, das einen reuelosen Täter auszeichnen würde.
Kameratechnisch wird das Drama ebenfalls hervorragend ausgeleuchtet. Die Kamera flirtet häufig mit einer sehr geringen Tiefenschärfe, geht nah an die Personen heran, um so noch ein kleines Quäntchen mehr Nähe zu erzeugen. Dass wirklich keine Gefühlsregung der Darsteller unbeobachtet bleibt, unterstreicht die gute schauspielerische Leistung fast aller Charaktere.
Die Geschichte an sich ist sehr nah am Leben, könnte gar auf wahren Begebenheiten basieren. Entsprechend ereignislos scheint die Handlung auf den ersten Blick. Viel Tristesse und Schweigen, wenig Action. Ja, teils erscheint die Story richtig behäbig. Umso mehr erschüttern dann die aufrüttelnden Szenen, die einen unvermittelt aus dem grauen Alltagseinerlei reißen. Für manch einen mag der Film nicht genug Spannung bieten. Doch unter der Oberfläche des offensichtlich so banalen Films, brodelt es gewaltig. Ständig fragt man sich, wann die Fassade anfängt zu bröckeln. Auch die Neugier wartet lange Zeit auf Befriedigung: erst im Lauf des Films wird langsam klar, warum Jack eigentlich gesessen hat. Wer sich auf diese Spannung einlassen kann, die mal so ganz und gar nicht „Schlag auf Schlag“ ist, bekommt mit „Boy A“ einen wirklich lohnenswerten Film, der viel Stoff für Diskussionen und zum Überdenken der eigenen Wertvorstellungen bietet.