Drehbuch: Andrea Arnold
Schauspieler*innen: Sasha Lane, Shia LaBeouf, Riley Keough, Arielle Holmes
Kinostart D:
Kinostart US:
Originaltitel: American Honey
Laufzeit: 2:44 Stunden
Filmkritik zu American Honey
Freiheit, grenzenlose Weiten, Aufbruch – der Western hat eine ganze Reihe an Motiven hervorgebracht, die auch weit abseits seiner Genre-Grenzen immer wieder in Filmen auftauchen. Andrea Arnolds jüngster Film American Honey , in Cannes mit dem Preis der Jury ausgezeichnet, fragt nach der Unterseite des American Dream, nach dessen Trümmern und nach der Freiheit, die gerade in diesen Trümmern erst möglich wird.
Star (Sasha Lane) lebt von den Resten, die im Supermarkt-Müllcontainer zu finden sind. Als sie eines Tages auf Jake (Shia LaBeouf) trifft, der mit einer Gruppe Jugendlicher in einem Bulli durch den Mittleren Westen der USA fährt und an Haustüren Zeitungs-Abonnements verkauft, schließt sie sich der Gruppe spontan an. Star lässt ihr Leben hinter sich, findet neue Freunde unter den Außenseitern, die sich mit unterschiedlichsten Hintergründen im Bulli versammeln und von Woche zu Woche an neue Orte aufbrechen, und beginnt ein Leben abseits der gesellschaftlichen Schranken.
Der Film widmet sich der grenzenlosen Freiheit, dieser scheinbaren Freiheit des Lebens von Haustür zu Haustür, beim nicht ganz legalen Verkauf von Zeitungs-Abonnements, im engen, erdrückenden 4:3-Seitenverhältnis. Wo gerade der Western die Breite der Leinwand mit der Weite seiner Steppen zu füllen verstand, geht American Honey ganz nah an die Figuren heran, in dem Mikrokosmos auf der Straße. Der Film ist ein Roadmovie, ohne sich allzu sehr um die Straße und das Freiheitsversprechen zu kümmern – es ist ein Film, der viel mehr die von allen Seiten hereinbrechenden Sorgen und Probleme der Jugendlichen immer schon zu ahnen scheint.
Die Reise von Star führt in das Herz verlorener Träume. Jeder in der Gruppe hat seinen eigenen Grund, beständig auf der Flucht zu sein, sie alle genießen ein Leben nur innerhalb der Regeln, die sich selbst auferlegen, und die von der Notwendigkeit des Zeitungsverkaufs unter ihrer Anführerin Krystal (Riley Keough) gesetzt werden. Der Film zeigt dabei die Hoffnung, die sich erst abseits der gesellschaftlichen Konventionen etablieren kann, die Hoffnung darauf, eines Tages Teil des mythischen amerikanischen Traums zu sein, den jeder träumt, auf dessen Erfüllung aber niemand wirklich wartet.
Es ist das unmittelbare Leben in der Gegenwart, auf dem Highway, durch die Wohnviertel und Vororte, dem sich die extreme Nähe dieses Films verschreibt. Fast spürt man die Kamera in einigen Sequenzen in ihrem Versuch, noch näher an die Figuren zu kommen, beinahe durch ihre Haut in ihr Innerstes schauen zu wollen. Es ist der Versuch, irgendetwas zu entdecken, das über dieses Leben hinausführt, eine Freiheit zu finden, die nicht nur hohles Versprechen hinter dem nächsten Horizont bleibt, sondern jetzt gerade wirklich spürbar ist.
American Honey kann trotz seiner langen Laufzeit gerade deswegen fesseln, weil das brillante Ensemble eine eigene Dynamik entfaltet, deren Teil der Film durch seine Nähe werden kann. Nicht immer überzeugt dabei der Einsatz dieses einen so deutlich akzentuierten Mittels und nicht jede Einstellung sprüht vor dem Einfallsreichtum, den der Film an anderen Stellen durchscheinen lässt – American Honey ist jedoch ein einzigartiges Erlebnis, eine besondere Reise auf den amerikanischen Highways, eine erdrückende und befreiende Suche nach dem Mehr, das es doch irgendwo noch geben muss.